19. April 2023 / Weltnews

Pakistans geschützte Schulen für Transpersonen

Menschen mit Transidentität werden auch in Pakistan oft schlecht behandelt, leben am Rande der Gesellschaft. Spezielle Schulen «für das dritte Geschlecht», wie es hier auch heißt, wollen sie stärken.

Transmenschen drängen heute wieder auf mehr Teilhabe in Pakistan.

Morgens zieht Nagini ihre blau-grüne Schuluniform an, bedeckt ihr Haar mit einem losen, weißen Tuch und packt ihre Schulsachen. Beim Lachen hält sie sich ihr Kopftuch vor den Mund. Eine Schülerin wie viele andere in Pakistan, könnte man glauben, doch Naginis Schule in Lahore ist eine besondere. Sie ist Teil eines neuen Projekts, das Bildung extra für Transmenschen anbietet, die auch hier - im konservativ-muslimischen Pakistan - oft verstoßen werden. Als Transmenschen werden Personen bezeichnet, die sich dem Geschlecht, das ihnen bei Geburt zugeschrieben wurde, nicht zugehörig fühlen.

Zu den sogenannten Transmenschen und der Transgender-Gemeinschaft zählen in Pakistan auch jene Menschen, die mit einem Körper geboren wurden, der nicht eindeutig männlich oder weiblich ist. Das Gesetz in Pakistan verbietet eigentlich ihre Diskriminierung. Seit 2018 dürfen Transmenschen selbst bestimmen, ob sie sich offiziell als männlich, weiblich oder als sogenanntes drittes Geschlecht eintragen lassen.

Von der Familie verstoßen

Nagini wurde als Kind von ihrer Familie verstoßen. Seitdem sie fünf Jahre alt war, bettelte sie auf den Straßen der Millionenstadt Lahore. Heute, mit 25 Jahren, holt sie nun die Bildung nach, die ihr zuvor verwehrt wurde. «Du bist willkommen. Du wirst wertgeschätzt», steht an der Tür zum Klassenraum. Worte, die für Nagini und ihre Mitschülerinnen nicht selbstverständlich sind. Eine zweite Schule speziell für Transmenschen gibt es in Pakistan in der Stadt Multan.

Viele Frauen und Männer mit Transidentität erleben seit ihrer Kindheit Ausgrenzung. Häufig müssen sich die khwaja siras, wie Transmenschen in Pakistan auch genannt werden, mit Betteln oder Prostitution über Wasser halten. Sie schließen sich in Gemeinschaften zusammen, die von einer Art Guru angeleitet werden. Dort nehmen sie oft neue Namen an. Auch Nagini hieß einmal anders.

«Ziel ist, dass Transmenschen etwas lernen, womit sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können», sagt Projektleiterin Bilquis Rehana Saroya über die Schule. Eine Altersgrenze gibt es hier nicht. Im bunt geschmückten Klassenraum lernen die Schülerinnen nicht nur Englisch, Mathematik und Nähen. Sondern vor allem auch, dass sie Träume haben dürfen. «Früher hat mich nie jemand ermutigt, mein Leben in die eigene Hand zu nehmen», erzählt Nagini.

Transgender werden oft in die Sexarbeit gedrängt

In der Schule fühlt sie sich aufgehoben, außerhalb der Schulmauern ist es bis zur Akzeptanz noch ein weiter Weg. Gerade weil Transgender oft in die Sexarbeit gedrängt werden, sind sie gesellschaftlich geächtet. Auch werden khwaja siras gerne gebucht, um Tänze auf Hochzeiten aufzuführen. Ihr Ansehen erhöht das jedoch nicht.

Nach offiziellen Angaben gab es allein in den vergangenen acht Jahren 150 Tötungsdelikte an Transmenschen, hinzu kommen Tausende Fälle von Gewalt und Belästigung. Vielen Fällen geht die Polizei nie nach, beklagt Aktivistin Namkeen Peschawari, was Gewalt weiter befeuere.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: In der Region hatten einst die khwaja siras ein hohes Ansehen. Unter den muslimischen Mogulen, die vor Hunderten Jahren den indischen Subkontinent beherrschten, gehörten sie zu den wenigen, die Zutritt zu den Harems am Königshof hatten, sagt der Historiker Mubarak Ali. Unter den britischen Kolonialherren verloren sie dann ihre hohe Stellung, erklärt Ali.

«Meine Zukunft sollte nicht Betteln sein»

Heute drängen Transmenschen wieder auf mehr Teilhabe in Pakistan. In der Hauptstadt Islamabad gibt es seit 2021 eigens eine Koranschule für sie. Ziel ist es, einen Ort zu schaffen, in denen Transgender in Ruhe den Koran studieren oder auch einfach zusammenkommen können, so die Gründerin und Aktivistin Nayab Ali. Zur Not bietet die Koranschule außerdem Unterschlupf. Finanziert wird sie von Spenden.

Auch Schulen wie die in Lahore soll es in Zukunft noch mehr geben. Auf Projektleiterin Saroya warten damit allerdings einige Herausforderungen. Da Transpersonen oft in ärmlichen Verhältnissen leben, müssen etwa Uniformen und der Transport zur Schule kostenlos sein. Zudem gelte es, viele khwaja siras erstmal von einem Schulbesuch zu überzeugen. Nagini will die Schule aber auf jeden Fall beenden. Sie sagt: «Meine Zukunft sollte nicht Betteln sein.»


Bildnachweis: © Murtaz Ali/-/dpa
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