8. Mai 2023 / Weltnews

Herzmediziner unter Mordverdacht

Die Charité ist über die Grenzen Deutschlands hinaus als angesehene Adresse für Medizin, Forschung und Lehre bekannt. Nun wird ein schlimmer Verdacht publik: Hat dort ein Herzmediziner zwei Patienten ermordet?

Nach dem Tod von zwei schwer kranken Patienten der Charité in Berlin steht ein Kardiologe unter Mordverdacht.

Sie lagen schwer krank auf der Intensivstation: Zwei Patienten der renommierten Charité in Berlin sollen von einem Herzmediziner mit überdosierten Medikamenten getötet worden sein. Der 55-jährige Facharzt für Kardiologie wurde am Montag verhaftet - wegen des dringenden Verdachts des zweifachen Mordes in den Jahren 2021 und 2022, wie Staatsanwaltschaft und Polizei mitteilten. Der Mann wurde laut Staatsanwaltschaft im August 2022 von der Charité freigestellt. Die Klinik hatte nach eigenen Angaben damals einen anonymen Hinweis bekommen. So kamen die Ermittlungen ins Rollen.

Noch am Montag sollte der Beschuldigte einer Ermittlungsrichterin des Amtsgerichts Tiergarten zur Verkündung des Haftbefehls vorgeführt werden, hieß es. Der dringende Tatverdacht hat sich laut den Ermittlungsbehörden erst durch ein medizinisches Gutachten ergeben. «Denn zuvor war nicht auszuschließen, dass die hohe Dosierung des Sedierungsmittels noch medizinisch vertretbar gewesen wäre.» Nach Einschätzung des Gutachters sei dies aber zumindest in zwei von insgesamt vier untersuchten Todesfällen nicht der Fall gewesen - was demnach auch für den Beschuldigten erkennbar gewesen sein soll. Bei sogenannten Sedativa handelt es sich um Beruhigungsmittel.

Keine Hinweise auf erbetene Sterbehilfe

Es war zunächst unklar, aus welchen Motiven der Beschuldigte gehandelt haben soll und ob weitere Todesfälle in der Charité untersucht werden müssen. Davon, dass der Arzt von den schwer kranken Patienten um Unterstützung gebeten sein könnte, gehen die Ermittler bislang nicht aus. «Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen gibt es keine Hinweise darauf, dass von den Patienten Sterbehilfe erbeten worden wäre», sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Zum Alter der Patienten konnte er keine Angaben machen.

Der anonyme Hinweis ging nach Charité-Angaben am 19. August 2022 im Rahmen einer Art Whistleblower-System mit Vertrauensanwälten ein. Dorthin können sich Beschäftigte der Klinik vertraulich wenden, die etwa Ungereimtheiten bemerken. Im konkreten Fall meldete jemand vier Fälle mutmaßlich nicht rechtmäßigen medizinischen Vorgehens mit Todesfolge in der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin auf dem Campus Virchow-Klinikum.

Das nun genutzte Kommunikationssystem für Hinweisgeber war vor Jahren als Konsequenz aus einer Mordserie an der Charité von 2005 und 2006 eingerichtet worden. Damals verabreichte eine Krankenschwester todkranken Patienten Medikamente, die aufgrund der schwachen Konstitution der Betroffenen zum Tod führten. Die Frau wurde zu lebenslanger Haft verurteilt - der Bundesgerichtshof wertete sie in drei Fällen des Mordes schuldig und in zwei Fällen des Totschlags.

Charité: Anonymen Hinweis sehr ernst genommen

Der Prozess hatte auch erhebliche Missstände innerhalb der Klinik offenbart: So sagten Zeugen vor Gericht aus, dass die Krankenschwester zwar schon einige Zeit vor ihrer Verhaftung unter Verdacht geraten war. Das Pflegepersonal hatte das Gerücht aber erst für sich behalten, bevor es die Stationsleitung informierte. Mit fatalen Folgen: Die Krankenschwester brachte in dieser Zeit drei weitere Patienten um. Die Frau gab an, zum Wohle der Patienten gehandelt zu haben. Laut Urteil hatten jedoch weder die Betroffenen noch ihre Angehörigen um Sterbehilfe gebeten.

Die Charité betonte zum aktuellen Fall, den anonymen Hinweis sehr ernst genommen und den unter Verdacht stehenden Facharzt sofort freigestellt zu haben. Umgehend seien «alle weiteren notwendigen Maßnahmen zum Schutz potenziell betroffener Personengruppen eingeleitet» worden. Die Charité zählt zu den größten Universitätskliniken Europas und ist einer der größten Arbeitgeber Berlins. Konzernweit hat die Klinik mehr als 21.000 Beschäftigte, mehr als 5000 davon sind Ärztinnen und Ärzte und Forschende.

Der Fall kann Erinnerungen an den als «Todespfleger» bekannt gewordenen Patientenmörder Niels Högel wecken: Ihn hatte das Landgericht Oldenburg 2019 wegen Mordes in 85 Fällen zu lebenslanger Haft verurteilt. Er war in Kliniken in Oldenburg und Delmenhorst als Krankenpfleger in der Intensivmedizin tätig und tötete dort nach Feststellung des Landgerichts insgesamt 85 Patienten, indem er ihnen medizinisch nicht indizierte Medikamente verabreichte.


Bildnachweis: © Marc Tirl/dpa
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