12. April 2024 / Weltnews

Viele Schildkrötenbabys im westlichen Mittelmeer

Vergangenes Jahr nisteten im westlichen Mittelmeer ungewöhnlich viele Meeresschildkröten. Das könnte mit dem Klimawandel zusammenhängen. Doch höhere Temperaturen bergen für die Tiere Gefahren.

Babymeeresschildkröten am korsischen Strand Capo di Feno auf dem Weg Richtung Meer.

Langsam und noch etwas mühselig krabbeln schwarze Babyschildkröten am Strand von Capo di Feno in Südkorsika Richtung Meer. Schaulustige stehen darum, bestaunen und filmen das Spektakel. Die Geburt der gut 70 kleinen Unechten Karettschildkröten (Caretta caretta) auf der französischen Insel im Herbst war ziemlich ungewöhnlich. Während die Meeresschildkröten sonst im östlichen Mittelmeer an Stränden der Türkei, Griechenlands und Zypern Jahr für Jahr aus den Eiern schlüpfen, werden sie so weit westlich selten gesehen.

Das vergangene Jahr war mit 444 Nestern an den Mittelmeerküsten Spaniens, Frankreichs und Italiens laut dem Projekt Life Turlenest ein Rekordjahr. Steckt der Klimawandel dahinter?

Mittelmeer im vergangenem Jahr besonders warm

Unechte Karettschildkröten sind stark von der Wassertemperatur abhängig. Wie andere Arten auch hätten sie eine Art Komfortzone, erklärt Judith Denkinger vom Ozeaneum in Stralsund. Es dürfe nicht zu warm und nicht zu kalt sein. «Dass das Mittelmeer sich in den letzten Jahrzehnten erwärmt hat, ist ja einfach eine Tatsache», sagt die Expertin für Meeressäuger und -schildkröten. Das vergangene Jahr sei extrem gewesen. Im Atlantik, von dem das Mittelmeer enorm beeinflusst werde, habe es eine Hitzewelle gegeben. «Ich glaube, da war das Mittelmeer sogar fünf Grad über normal. Das ist schon heftig in so einem großen Wasserbecken.»

Eigentlich liege das Hauptverbreitungsgebiet der Unechten Karettschildkröte im östlichen Mittelmeer, sagt die Meeresbiologin. «Wenn das jetzt aber da zu warm geworden ist, weil das Meer sich zu arg aufgewärmt hat und auch die Sonneneinstrahlung zu warm ist, dann werden diese Lebensräume für Seeschildkröten ungeeignet und dann könnte es sein, dass sie woanders hingehen.» Auch etwa, weil durch die höheren Temperaturen Algen als Nährstoffe im Wasser fehlten. All dies seien aber langfristige Prozesse. Viel Forschung gebe es dazu bisher nicht.

Die vielen Nester könnten auch ein schlechtes Zeichen sein

«Man darf keine vorschnellen Schlüsse ziehen», meint Cathy Cesarini, die auf Korsika die Organisation zum Schutz von Walen und Schildkröten CARI leitet, zur ungewöhnlich hohen Zahl von Niststätten im westlichen Mittelmeer im vergangenen Jahr. «Es ist möglich, dass es eine Suche nach neuen Gebieten ist.» Aber es gebe verschiedene Hypothesen. «Man wird sehen müssen, ob das nur dieses eine Jahr ist oder ob das etwas ist, das sich wiederholt.» Spannend wäre zu schauen, ob es im Ostmittelmeer weniger Schildkrötennester gegeben habe. Doch die Tierschützerin hält das für praktisch unmöglich. «Dort wird so viel genistet, wenn es da 480 Nester weniger gibt, merken die das gar nicht.»

Eine mögliche Erklärung für die vielen Nester auf Korsika könnte auch sein, dass Weibchen zum Eierlegen oft an ihren Geburtsort zurückkehrten. Bereits im vergangenen Jahrhundert wollen Menschen auf Korsika Schildkröteneier gesehen haben, erzählt Cesarini. Beweise gebe es dafür aber nicht. Meeresbiologin Denkinger spricht von einer hohen Habitattreue der Tiere, die immer wieder am gleichen Strand nisteten. «Das ist so ein bisschen ein Problem, weil die dann eben auch nicht rechtzeitig ausweichen würden», etwa wenn es zu heiß würde.

Hitze kann für die Tiere zu einem immensen Problem werden

Denn Hitze ist für Meeresschildkröten keineswegs ein willkommener Wegbereiter, um mehr Orte als Nistplätze zu erschließen. Vielmehr könnte sie für die Tiere zu einem immensen Problem werden. Weil warmes Wasser sich stärker ausdehnt als kaltes, geht mit einer steigenden Meerestemperatur ein steigender Meeresspiegel einher. Nistplätze könnten überschwemmt werden und verloren gehen, erläutert Denkinger. Wenn es extrem heiß werde, würden die Eier in den Nestern zudem stärker erhitzt und Föten verendeten.

Fatal kann Hitze für Schildkröten zudem werden, da nicht nur die Chromosomen, sondern auch die Temperatur im Ei das Geschlecht bestimmt. An wärmeren Stellen des Nests entstehen mehr Weibchen, an kälteren mehr Männchen. Denkinger warnt: Zu hohe Temperaturen könnten zu einem Überschuss an Weibchen führen. «Man kann in der Karibik schon sehr schön beobachten, dass da immer weniger Männchen unterwegs sind oder auch ganz wegfallen.» Eine Zeit lang könnten ältere Männchen noch einspringen, weil die Tiere so langlebig seien, sagt die Forscherin. «Aber wenn sich das hält, dann ist eben ihr Aussterben vorprogrammiert.»

Meeresbiologin: müssen die Emissionen reduzieren

Wie die Tiere vor hohen Temperaturen geschützt werden können, ist für die Meeresbiologin klar: «Das Einzige, was wir machen können, ist, die Emissionen zu reduzieren.» Allgemein solle auch weniger Plastik verbraucht werden. Das setze den Tieren zu, etwa wenn sie durch Plastiktüten im Hals sterben oder durch unverdautes Plastik im Magen schwerer abtauchen können. Mehr natürliche Strände und der Schutz der Habitate sind laut Denkinger ebenfalls wichtig. Vor und während der Paarungszeit sollte möglichst kein Verkehr von Schnellbooten in Strandnähe zugelassen werden, wo Männchen und Weibchen sich tummelten.

Am korsischen Capo di Feno wäre ein Bootsverbot wohl nicht notwendig. Charlène Thevenet, die als Freiwillige das Nest in Capo di Feno geschützt hat, erzählt, dass es an dem Strand recht ruhig war. Auch einen Tourismus rund um Meeresschildkröten gibt es auf Korsika bisher nicht. Insgesamt wurden auf der Insel aber auch nur fünf Nester gefunden. «Ich habe Angst davor, dass, wenn es nächstes Jahr wieder Geburten gibt, viele Touristen dafür kommen.» Sollte es mehr Nester geben, sei viel Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit zu leisten.

Doch ob die vielen Geburten von Meeresschildkröten im westlichen Mittelmeer im vergangenen Herbst eine Ausnahme bleiben oder die Tiere nun regelmäßig auch auf Korsika Nester bauen, bleibt abzuwarten.


Bildnachweis: © CARI/dpa
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