2. Juli 2023 / Weltnews

Tigermücke: Müssen wir künftig Angst vor Stichen haben?

Mückenstiche sind nervig, können aber auch gefährlich sein: wenn potenziell tödliche Erreger übertragen werden. Noch gibt es hierzulande nur wenige Fälle, doch im Zuge des Klimawandels wachsen die Risiken.

Eine Asiatische Tigermücke. Infektionskrankheiten werden aus Sicht von Infektiologen allein durch die Klimakrise in den kommenden Jahrzehnten deutlich zunehmen.

Viele Mückenarten in Deutschland sind für Laien kaum voneinander zu unterscheiden. Kommt das nervige «tzz» von einer heimischen Mücke oder einer Asiatischen Tigermücke? Der Unterschied kann bedeutend sein - wenn die Mücke sticht. Denn die Tigermücke kann eine Reihe gefährlicher Krankheitserreger wie Dengue- und Chikungunya-Virus übertragen.

Die Asiatische Tigermücke stammt aus den Tropen, breitet sich aber im Zuge des Klimawandels seit den 1990er Jahren massiv in Südeuropa und Teilen Mitteleuropas aus, wie es vom Friedrich-Löffler-Institut heißt. Eine lokale Vermehrung wurde hierzulande erstmals im Jahr 2014 festgestellt. Mittlerweile gebe es fest etablierte Populationen, sagt Mücken-Expertin Doreen Werner vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF). Vor allem in Bayern und Baden-Württemberg, aber auch in Hessen, Thüringen und Berlin.

Nur eine Frage der Zeit

Noch ist hierzulande kein Fall bekannt geworden, bei dem eine Erkrankung durch den Stich einer hier lebenden Tigermücke übertragen wurde - Experten halten das wegen des Klimawandels aber nur für eine Frage der Zeit. In Südfrankreich zum Beispiel wurden schon mehrfach Zika-Infektionen durch dort heimische Tigermücken gemeldet. Nachgewiesene Dengue-Infektionen gab es etwa auf Madeira sowie in Kroatien und Frankreich. Auch Chikungunya-Ausbrüche gab es im Mittelmeerraum bereits.

Die EU-Gesundheitsbehörde ECDC warnte erst kürzlich vor dem steigenden Risiko durch von Mücken übertragene Krankheiten. Die Asiatische Tigermücke breite sich in Europa weiter Richtung Norden und Westen aus. Die Zahl betroffener Regionen des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) habe sich binnen zehn Jahren fast verdreifacht. Anders als heimische Mücken nutzen die weiß gestreiften Tiere häufig kleine Wasserreservoirs etwa in Untersetzern von Blumentöpfen und sind vor allem im urbanen Umfeld verbreitet - auch in großen Städten wie Berlin.

Für das Dengue-Virus reichen heimische Temperaturen

Sticht eine Tigermücke einen Infizierten, können sich aufgenommene Viren in dem Insekt vermehren und auf weitere Menschen übertragen werden, wenn die Mücke erneut zusticht. Entscheidend ist dabei allerdings nicht allein das Vorkommen der Mücken: Zika-Viren zum Beispiel benötigen Experten zufolge große Hitze, um sich gut in den Mücken vermehren können, mit Temperaturen, die in Deutschland bisher eher selten erreicht werden. Das Dengue-Virus hingegen kann sich auch bei gemäßigten Temperaturen gut in den Mücken vermehren. Der Erreger verursacht langanhaltende Gelenkbeschwerden etwa in der Hand, die oft als rheumatische Erkrankung verkannt werden.

Exotische Mücken sind in Deutschland zudem nicht die einzigen potenziellen Überträger gefährlicher Krankheiten: 2019 erfasste das Robert Koch-Institut (RKI) erstmals Infektionen mit dem ursprünglich aus Afrika stammenden West-Nil-Virus bei erkrankten Menschen in Deutschland, die auf eine Übertragung durch heimische Mücken zurückgingen. Weil der Erreger in Stechmücken in Deutschland überwintern kann, rechnen Experten mit zunehmenden Fallzahlen bis hin zu größeren saisonalen Erkrankungswellen. In süd- und südosteuropäischen Ländern gibt es schon seit Jahren solche Ausbrüche.

17 West-Nil-Infektionen im vergangenen Jahr

Dem RKI zufolge wurden hierzulande im vergangenen Jahr 17 West-Nil-Infektionen bei Menschen nachgewiesen, im Jahr zuvor waren es 4 Fälle. Eine West-Nil-Virus-Infektion verläuft in 80 Prozent der Fälle ohne Symptome und wird daher gar nicht erkannt. Bei knapp 20 Prozent gibt es dem RKI zufolge milde, unspezifische Symptome wie Fieber oder Hautausschlag. Auch diese bleiben häufig unbeachtet. Schwerere und tödliche Verläufe betreffen meist ältere Menschen mit Vorerkrankungen. Nur etwa ein Prozent der Infektionen führen zu solchen schweren neuroinvasiven Erkrankungen. Da Tests und damit gesicherte Nachweise meist nur bei solchen Verläufen erfolgen, wenn überhaupt, ist für Deutschland schon von einer erschreckend hohen Zahl jährlicher Infektionen auszugehen.

Tropenmediziner gibt Entwarnung

Müssen wir künftig also Angst vor jedem Mückenstich haben, vielleicht bald unter Moskitonetzen schlafen? «Grundsätzlich bei jedem Mückenstich Sorge zu haben, ist im Moment sicher übertrieben», sagt der Tropenmediziner Tomas Jelinek. «Es ist eine ernstzunehmende Krankheit, aber man muss kein massenhaftes Auftreten in Deutschland erwarten.» Es sei aber durchaus wahrscheinlich, dass es in Zukunft auch hierzulande zu kleineren West-Nil-Ausbrüchen kommen werde.

Wann erste durch hier lebende Tigermücken übertragene Dengue-Infektionen bemerkt werden, ist unklar. Bestehende Populationen der Insekten zu vernichten, sei wichtig, betont Werner. Sie leitet seit 2012 den sogenannten Mückenatlas und untersucht Mückenfunde aus ganz Deutschland. Bürger, die eine Mücke finden, können sie fangen, einfrieren und per Post an Werner und ihr Team schicken.

Die Tigermücke «lacht» über unseren Winter

Der bislang nördlichste Ort in Deutschland, an dem eine Tigermücke gefunden wurde, ist Berlin. Im Herbst 2019 erreichte ein erstes Exemplar das Institut per Post aus einer Kleingartenanlage aus dem Bezirk Treptow-Köpenick. Auch in den Jahren darauf wurden die Tiere dort nachgewiesen. «Die Anpassung der Mücke ist mittlerweile so gut, dass die über unseren Winter lacht», sagt Werner.

In diesem Jahr hatte die Wissenschaftlerin noch keine Tigermücke in der Post. Das sei allerdings nicht verwunderlich: Die Saison starte erst Ende Juni, Anfang Juli und dauere je nach Temperatur bis September, Oktober. Müssen wir uns an das Vorkommen invasiver Mückenarten gewöhnen? «Sie werden zunehmen, es ist nur eine Frage der Zeit», sagt Werner. Es brauche Aufklärung und Prävention.


Bildnachweis: © Ennio Leanza/KEYSTONE/dpa
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