20. Juni 2023 / Weltnews

Psychologin zu Tauchboot: «Eine extreme Stresssituation»

Auf dem Weg zum Wrack der «Titanic» sind mehrere Menschen in einem kleinen Tauchboot verschollen. Derartige Notfallsituationen können in Betroffenen ganz unterschiedliche Gefühle auslösen, erklärt eine Expertin.

Birgitta Sticher, Professur für Psychologie und Führungswissenschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR).

Mehrere Vermisste in einem Tauchboot nahe dem «Titanic»-Wrack: Allein die Vorstellung der mutmaßlichen Lage an Bord dürfte bei manchen Menschen Beklemmungen auslösen. Betroffene derartiger Krisensituationen reagieren aber nicht zwangsläufig mit Panik, sagte die Berliner Psychologie-Professorin Birgitta Sticher am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur.

Frage: Welche Gefühle, welche Ängste sind in Notfallsituationen mit Todesgefahr vorherrschend?

Antwort: Eine Situation mit einer Todeswahrscheinlichkeit ist eine extreme Stresssituation. Wie Menschen damit umgehen, ist aber individuell sehr unterschiedlich. Wir sehen da ein breites Spektrum: Manche Menschen werden ganz ruhig, sind nach innen gekehrt und gelassen. Andere erleben eine große innere Dramatik, weil sie damit gar nicht gerechnet haben und sich in ihnen alles aufbäumt. Die Reaktion hängt auch davon ab, wo man im Leben steht. Ob man den Eindruck hat, sein Leben eigentlich schon gelebt zu haben. Wichtig ist auch die gedankliche Vorbereitung auf den Extremfall: Wie wurde die Wahrscheinlichkeit eines Risikos eingeschätzt, wurden mögliche Folgen für das eigene Leben berücksichtigt?

Frage: Wie schnell kann im Extremfall Panik aufkommen?

Antwort: Wenn es um Katastrophen geht, herrscht oft das Bild in den Köpfen vor, dass Menschen ganz schnell in Panik geraten. Das ist aber je nach Situation ein Mythos. Wir können davon ausgehen, dass Panik eigentlich nur dann auftritt, wenn Menschen den Eindruck haben, dass alle Überlebenschancen gen Null gehen. Panik ist im Grunde eine sinnvolle Reaktion des Körpers, um Energien zu mobilisieren, etwa um aus einer Akutsituation zu fliehen. Aber in einer Situation, in der diese Energie gar nichts bewirken könnte - zum Beispiel, weil Flucht unmöglich ist - kann man zunächst von Rationalität ausgehen. Da dürften sich Menschen als letzten Strohhalm an der Hoffnung festhalten.

Frage: Welche Rolle spielt im Notfall die Dynamik in einer Gruppe?

Antwort: Sie ist sehr wichtig. Wenn zum Beispiel ein Team Astronauten ins Weltall startet, dann haben sie vorher ein ganz langes Training als Gruppe. Sie üben Stresssituationen und wissen, wie sie im Zusammenspiel reagieren. Im aktuellen Fall des Tauchboots scheint es das nicht gegeben zu haben. Grundsätzlich kann man dann davon ausgehen, dass erfahrenere Menschen in der Gruppe eine gewisse Autorität haben und andere sich unterordnen. Das ist dann durch die Situation bestimmt, dass man überleben möchte.

Zur Person: Birgitta Sticher ist seit 1998 Professorin für Psychologie und Führungslehre an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin. Sie ist dort auch Direktorin des Forschungsinstituts für öffentliche und private Sicherheit (FÖPS). Zu Schwerpunkten ihrer Arbeit gehören Fragen zum Krisen- und Katastrophenmanagement, etwa das Verhalten von Menschen in der Krise.


Bildnachweis: © Sven Lüders
Copyright 2023, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten

Meistgelesene Artikel

«Das reine Böse»: Teenager tötet vier Menschen an US-Schule
Weltnews

An einer Schule im US-Bundesstaat Georgia eröffnet ein Schütze das Feuer - vier Menschen werden getötet. Der mutmaßliche Täter ist erst 14 Jahre alt. Über sein Motiv wird gerätselt.

weiterlesen...
Dürre in Griechenland bringt Dorf in Stausee zum Vorschein
Weltnews

Selbst in Gegenden mit sonst reichlich Wasser sieht es in Griechenland schlecht aus: Brunnen und Seen trocknen aus, Flüsse und Bäche werden zu Rinnsalen. Die Trockenheit ist schlimm wie lange nicht.

weiterlesen...
Rockband Linkin Park ist mit neuer Sängerin zurück
Weltnews

Linkin Park feiern nach sieben Jahren mit «From Zero» ihr Comeback. Es ist das erste Album mit Emily Armstrong und Colin Brittain als neuen Bandmitgliedern.

weiterlesen...

Neueste Artikel

Erdrutsche und Hochwasser in Bosnien-Herzegowina - 18 Tote
Weltnews

Starkregen hat die Flüsse in der Umgebung von Mostar anschwellen lassen. Zahlreiche Häuser wurden überschwemmt. Ein Ort wurde von Schlamm bedeckt. Katastrophenschützer suchen nach Vermissten.

weiterlesen...
Vergewaltigung eines Touristen in U-Bahnhof: Vier Jahre Haft
Weltnews

Für die Vergewaltigung eines volltrunkenen Touristen in einer Münchner U-Bahnstation hat der Angeklagte nun eine Gefängnisstrafe kassiert. Der Richter bescheinigte ihm eine Tat «quasi im Vorbeigehen».

weiterlesen...

Weitere Artikel derselben Kategorie

Erdrutsche und Hochwasser in Bosnien-Herzegowina - 18 Tote
Weltnews

Starkregen hat die Flüsse in der Umgebung von Mostar anschwellen lassen. Zahlreiche Häuser wurden überschwemmt. Ein Ort wurde von Schlamm bedeckt. Katastrophenschützer suchen nach Vermissten.

weiterlesen...
Vergewaltigung eines Touristen in U-Bahnhof: Vier Jahre Haft
Weltnews

Für die Vergewaltigung eines volltrunkenen Touristen in einer Münchner U-Bahnstation hat der Angeklagte nun eine Gefängnisstrafe kassiert. Der Richter bescheinigte ihm eine Tat «quasi im Vorbeigehen».

weiterlesen...
ANZEIGE – Premiumpartner