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Wale sind aus Expertensicht «Frühwarnsysteme» der Ozeane. Wenn es ihnen nicht gut gehe, sei das ein Warnzeichen für das gesamte Ökosystem des Meeres, sagt Walforscherin Els Vermeulen von der südafrikanischen Universität Pretoria im Vorfeld einer UN-Hochsee-Konferenz. Das zweiwöchige Treffen beginnt in New York und soll ein Abkommen zum Schutz der Ozeane verabschieden.Vermeulen betreut ein Projekt, das seit mehr als 40 Jahren das Reproduktionsverhalten der Südlichen Glattwale (Eubalaena australis) registriert. Zusätzlich zu Zählungen vor der südafrikanischen Küste, an die Südliche Glattwale jedes Jahr kommen, um ihre Jungen zu gebären, hat ihr Team Satellitensender an 15 Weibchen angebracht. So verfolgen die Forscher die Wanderung der Wale über Tausende Kilometer, um zu verstehen, wie sich Veränderungen von Klima und Umwelt auf ihre Migrationsrouten, ihr Futterverhalten und ihre Fortpflanzung auswirken. Die jüngsten Ergebnisse zeigten «drastische Veränderungen» in den drei Bereichen, sagt Vermeulen.Enorm schwankende ZahlenWährend der jüngsten Walsaison im Oktober zählte das Forschungsteam 304 kalbende Weibchen und 50 ausgewachsene Wale ohne Kalb. Zwar sei die Zahl kalbender Weibchen etwas höher als die 2015 gezählten 249, sie liege aber «weit unter dem, was wir unter 'normalen Bedingungen' erwarten würden», erklärt Vermeulen. Zudem bleibe die registrierte Zahl ausgewachsener Südlicher Glattwale ohne Kalb wie im vergangenen Jahrzehnt «extrem niedrig», so Vermeulen. Dies deute darauf hin, dass die Tiere nicht im gleichen Umfang wie vor einigen Jahrzehnten an die südafrikanische Küste kommen.«Normal» wäre eine um etwa 6,5 Prozent pro Jahr zunehmende Sichtungsrate, wie sie seit Inkrafttreten des weltweiten Verbots des kommerziellen Walfangs von 1986 bei Südlichen Glattwalen vor Südafrika beobachtet worden sei. «Wir sehen jedoch enorm schwankende Zahlen», sagt Vermeulen.Weibchen kalbten in längeren und unregelmäßigen Abständen. «Sie gebären (vor der südafrikanischen Küste) nur noch alle vier bis fünf Jahre Junge, statt früher alle drei Jahre», erläutert Vermeulen. Grund dafür sei vermutlich der durchschnittlich um ein Viertel reduzierte Körperumfang der Weibchen. «Wir nehmen an, dass dies am durch den Klimawandel reduzierten Vorkommen des Futters im Südpolarmeer liegt, vor allem Plankton», sagt die Forscherin. Die Krillfischerei könne als Faktor möglicherweise auch mit hineinspielen.Weniger Krill gefressen oder weitere Strecken zurückgelegt Glattwal-Weibchen sind auf Fettreserven angewiesen, die sie sich in den Sommermonaten im Südpolarmeer anfressen. Diese werden in den Wintermonaten benötigt, wenn sie zum Kalben vor die Küste Südafrikas schwimmen. Eine niedrigere Geburtenrate und ein schlechterer Körperzustand bedeuten laut Vermeulen, dass die Wale im Südpolarmeer entweder weniger Krill gefressen haben oder weitere Strecken zurücklegen mussten, um so viel Krill wie zuvor zu bekommen. Ein geringerer Körperumfang hänge daher direkt mit der Geburtenrate zusammen.Nicht nur Wale sondern auch zahlreiche andere Meerestiere ernähren sich von Plankton, das aus Kleinstlebewesen besteht, zu denen auch der Krill zählt. Darunter sind etwa Robben, Krebse, Muscheln und viele Fische. Forscher bezeichnen Plankton, das fast 98 Prozent der Biomasse der Weltmeere ausmacht - als «Basis des Lebens im Meer». «Mit weniger Planktonvorkommen könnte das Ökosystem zusammenbrechen», warnt Vermeulen.Eine im Fachjournal «Global Change Biology» veröffentlichte Studie zeigt, dass die Schwangerschaften von Buckelwalen (Megaptera novaeangliae) vor der Westantarktischen Halbinsel direkt von der Verfügbarkeit von Krill abhängen. Beispielsweise waren 2017, ein Jahr nachdem es Krill im Überfluss gab, 86 Prozent der dortigen Buckelwalweibchen trächtig. Dagegen waren es 2020, folgend auf ein Jahr mit weniger Krill, nur 29 Prozent. Die Krillmenge schwankt von Jahr zu Jahr. Seine Verfügbarkeit im Jahr vor einer Walschwangerschaft ist nach Angaben der Forscher entscheidend, da sich die Weibchen für ihre bevorstehende Trächtigkeit mästen müssen.Man wisse nun, dass Krill - entgegen einer bislang weit verbreiteten Annahme - keine unbegrenzte Nahrungsquelle für Wale sei, erklärt der Hauptautor des Berichts, Logan Pallin von der Universität von Kalifornien in Santa Cruz. «Die anhaltende Erwärmung und zunehmende Fischerei entlang der Westantarktischen Halbinsel, die die Krillbestände weiter reduzieren, werden sich wahrscheinlich auf diese Buckelwalpopulation und andere Krill-Fresser in der Region auswirken», so Pallin.Überlappenden Stressoren Wale sind besonders gute Indikatoren für die Gesundheit vieler Ökosysteme, weil sie weite Strecken zurücklegen und damit Daten für zahlreiche Teile der Hochsee liefern können. Ein vom WWF beobachteter Buckelwal schwamm rund 19.000 Kilometer durch den Südlichen Ozean und dabei durch Küstengewässer von 28 Ländern sowie die Hochsee.Sechs der 13 großen Walarten seien heute als gefährdet oder sogar stark gefährdet eingestuft, selbst nach Jahrzehnten des Schutzes, sagt Chris Johnson, der Leiter der globalen Walschutz-Initiative des WWF. Das habe vielerlei Ursachen: der globale Schiffsverkehr, Fischereibetriebe und Plastikverschmutzung, aber auch die Auswirkungen des Klimawandels, die inzwischen fast jeden Bereich der Ozeane erreichten. Diese überlappenden Stressoren wirkten sich auf die Erholung einiger Walpopulationen aus und verringerten die Zahl anderer stark, sagt Johnson. Mit nur noch 336 verbleibenden Tieren befinde sich der Nordatlantische Glattwal beispielsweise auf dem niedrigsten Stand seit etwa 20 Jahren.Ein großer Teil des Problems sei, dass nur ein Prozent der Hochsee geschützt sei, so Johnson. Die Hochsee ist damit laut WWF «einer der am wenigsten verwalteten Orte der Erde». Die Wal-Experten hoffen, dass bei den anstehenden Verhandlungen in New York für ein Hochsee-Abkommen strikte Richtlinien geschaffen werden. Nach mehr als einer Dekade der Diskussionen, soll das Treffen dieses Jahr mit der Schaffung eines wegweisenden globalen Rahmens enden - einem rechtsverbindlichen Instrument zum Schutz von Meereslebewesen und ihren Lebensräumen außerhalb nationaler Hoheitsgebiete.Bildnachweis: © Mammal Research Institute/dpaCopyright 2023, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten