6. April 2022 / Weltnews

Die Kuh, das unbekannte Wesen

Wiederkäuen, Milch geben und dann ab zum Schlachthof? Kühe können viel mehr, wenn man sie trainiert. Doch das «Kuhcoaching» hat seine Grenzen - und verfolgt ganz unterschiedliche Ziele.

Kuhcoach Markus Holzmann hat «Emmi» einige Kunststücke beigebracht.

Ihre gut 900 Kilogramm Gewicht halten Emmi nicht vom Schritt auf ihre kleine Bühne ab. Gerade mal 60 Zentimeter Durchmesser bietet das Podest, das vor das etwa sechs Jahre alte Rind auf der Wiese steht.

Doch durch das Training von Markus Holzmann schafft Emmi den erstaunlich grazilen Balanceakt. Der 21-Jährige aus Steingaden im Ostallgäu ist dort als «Kuhflüsterer» bekannt - ein Titel, den er sich nicht selbst ausgesucht habe, wie er betont.

Unterwegs als «Kuhcoach»

Über Jahre hinweg hat Holzmann auf dem Hof seiner Familie nicht nur Emmi, sondern auch seinem Ochsen Hugo, Pferd Prinz und einigen weiteren Rindern Kunststücke und den Umgang miteinander antrainiert. Inzwischen verdient der 21-Jährige als «Kuhcoach» sein Geld.

Vor allem Hobby-Tierhaltern helfe er beim Umgang mit Rindern und Pferden, sagt er. Dafür sei er in ganz Deutschland und in der Schweiz unterwegs. Manche Tierhalter bringen ihre Rinder und Pferde auch zu ihm an den Alpenrand, wo sie auf einem Trainingsparcours üben können, der einer Hundesportanlage im Großformat gleicht.

Dass Kühe mehr können als fressen, Milch geben und Fleisch liefern, zeigt auch Laura Runkel ihren Besuchern. In Großbottwar (Landkreis Ludwigsburg) hat die 22-Jährige mehrere Rinder fürs Reiten trainiert - und steht inzwischen damit auch bei Schulkindern auf dem Stundenplan. «Bei den Schulen am Ort sind wir ein Unterrichtsfach», sagt Runkel. Aber auch Landwirte ließen sich von ihr beraten: «Die sagen, was bringt mir eine Kuh, wenn sie nicht mit mir arbeiten will?»

Das große und das kleine Geschäft

In Mecklenburg-Vorpommern sucht man ebenfalls nach verborgenen Rindertalenten - allerdings mit anderen Zielen. Jan Langbein forscht am Forschungsinstitut für Nutztierbiologie in Dummerstorf daran, wie Kälber «stallrein» werden können. Denn treffen Urin und Kot von Rindern aufeinander, entsteht Ammoniak. Das wiederum schadet Umwelt, Gesundheit und Klima. Kann man das große und das kleine Geschäft getrennt auffangen, lassen sich diese Emissionen vermeiden.

In ersten Versuchen haben die Forscher in Dummerstorf elf von 16 Kälbern so weit trainiert, dass sie mehr als drei Viertel ihrer kleinen Geschäfte in einer Latrine verrichteten. Dabei setzten die Forscher auf Futter als Belohnung und Kaltwasser-Spritzer als Strafen. Das Ergebnis: Die Kälber waren beim Toiletten-Training nach Angaben der Forscher ähnlich erfolgreich wie Kinder. Nun sollen weitere Versuche unter realen Stallbedingungen folgen.

«Wenn man Tieren die richtigen Fragen stellt, kann man da viel entdecken», sagt Langbein. Auch an den Ku(h)nststücken im Allgäu oder dem Kuhreiten in Baden-Württemberg sei an sich nichts auszusetzen. «Ich sehe darin überhaupt kein Problem, solange das über positive Konditionierung läuft - also über Belohnungen», sagt Langbein.

Wichtig sei auch, nichts zu trainieren, was dem natürlichen Verhalten entgegenstehe. Dann seien die Rinder beschäftigt und in Kontakt mit Menschen. «So eine Kuh hat dann auf jeden Fall mehr Spaß am Leben als die Milchkuh im Stall», sagt Langbein.

Aber auch dort spiele Training eine wichtige Rolle, sagt eine Sprecherin des Bayerischen Bauernverbands (BBV). «Bei Milchkühen wird beispielsweise das Melken mit einer positiven Erinnerung verknüpft.» So werde den Tieren im Melkroboter Kraftfutter serviert, damit diese dorthin zurückkehren. Aber «auch ein guter und bewusster Umgang» der Landwirte spiele eine Rolle, sagt die Verbandssprecherin - zum Beispiel durch Anrede mit entspannter Stimme und Streicheleinheiten.

Angebote wie Kuhtrekking oder das Kuhtraining im Allgäu stoßen auch bei den Landwirten grundsätzlich auf Zustimmung. Diese ermöglichten «Verbrauchern den oft verloren gegangenen Kontakt zur Landwirtschaft und den damit verbundenen Nutztieren», sagt die BBV-Sprecherin. Vermenschlicht werden sollten Kühe bei all ihren Fähigkeiten dabei aber nicht, betont sie. Das könne «dazu führen, dass tiereigene Verhaltensmuster vom Menschen falsch interpretiert werden».

«Kuhflüsterer» Markus Holzmann macht sich darum keine Sorgen. Respekt müsse man vor den Tieren haben, betont er. Das sei auch das, was er seinen Besuchern rüberbringen wolle. «Eine Kuh macht nichts, was sie nicht wirklich will.» Das zeigt Rind Emmi auch kurze Zeit nach ihrem Kunststück. Nur widerwillig folgt sie Holzmann in die vorgegebene Richtung. «Es muss sich eben lohnen», sagt Holzmann und lacht.


Bildnachweis: © Karl-Josef Hildenbrand/dpa
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