30. Mai 2022 / Weltnews

Neue Dimension: Babysitter missbraucht jahrelang Kinder

Ermittler sagen, der neue Missbrauchskomplex «Wermelskirchen» erreicht eine neue Dimension der Grausamkeit. Insgesamt steigt auch die Zahl der von den Behörden erfassten Missbrauchsdarstellungen.

Der Kölner Polizeipräsident Falk Schnabel zeigt sich entsetzt über das Ausmaß an Brutalität im Missbrauchskomplex Wermelskirchen.

Der neue Missbrauchskomplex von Wermelskirchen hat nach Angaben der Ermittler eine Dimension an Brutalität, die die anderer Komplexe übersteigt. Hauptbeschuldigter ist ein 44-Jähriger aus dem nordrhein-westfälischen Wermelskirchen.

Der kinderlose und verheiratete Angestellte habe im Internet seine Dienste als Babysitter angeboten und sich so seinen Opfern nähern können, berichteten die Ermittler am Montag in Köln. Mit Dutzenden weiteren Männern habe er zudem kinderpornografische Bilder und Videos «unvorstellbarer Brutalität» getauscht.

«Ich bin erschüttert und fassungslos. Ein solches Ausmaß an menschenverachtender Brutalität und gefühlloser Gleichgültigkeit gegenüber kleinen Kindern, ihren Schmerzen und ihren Schreien ist mir noch nicht begegnet», sagte Kölns Polizeipräsident Falk Schnabel.

Gewaltige Datenmengen

Bislang seien 73 Verdächtige und 33 Opfer identifiziert worden, berichteten die Ermittler. Das jüngste Kind sei einen Monat alt gewesen. Unter den Opfern seien fünf Säuglinge und auch Kinder mit Behinderung. Es seien gewaltige Datenmengen - ein Volumen von 32 Terabyte - mit 3,5 Millionen Bildern und 1,5 Millionen Videos sichergestellt worden.

Die Gewaltfantasien, die dabei verwirklicht worden seien, hätten auch erfahrene Ermittler in dem Bereich entsetzt. Gefunden wurden «brutalste Vergewaltigungen von Babys und Kleinkindern». Es gebe Anhaltspunkte dafür, dass die Kinder in einigen Fällen dafür betäubt worden seien. Es sei möglich, dass sich die Zahl der Missbrauchsopfer weiter erhöhe. Bislang sei erst zehn Prozent der Datenmenge ausgewertet.

«Bitte ersparen sie mir Schilderungen dessen, was ich gesehen habe», sagte Oberstaatsanwalt Joachim Roth sichtlich gequält. «Das, was ich gesehen habe, hat mich bis ins Mark erschüttert.»

Taten reichen bis ins Jahr 2005 zurück

Dennoch hätten die Eltern der Kinder in keinem Fall Verdacht geschöpft, berichteten die Ermittler. Auch einige Opfer seien völlig überrascht gewesen von der Nachricht der Polizei, dass sie vor Jahren im Kleinkindalter Opfer schwersten Missbrauchs geworden seien. Ihnen sei Hilfe angeboten worden.

Der nicht vorbestrafte Babysitter soll im Großraum Köln selbst zwölf Kinder - zehn Jungen und zwei Mädchen - missbraucht haben. Die Taten reichten bis ins Jahr 2005 zurück.

Um Zugriff auf die unverschlüsselten Daten des 44-Jährigen zu bekommen, hätten Spezialkräfte ihn im vergangenen Dezember am eingeschalteten Rechner während einer Videokonferenz mit Arbeitskollegen überwältigt.

Diese hätten ihrerseits den Notruf 110 gewählt, weil sie glaubten, Zeugen eines Überfalls zu werden. Die Sicherung der gesamten Datenmenge von 232 Datenträgern vor Ort habe dann 17 Tage gedauert.

Täter ist weitgehend geständig

Eine besondere «Aufbauorganisation» namens «Liste» sichtet nun die gewaltigen Datenmengen. Der Name ist dem Umstand geschuldet, dass der Verdächtige sein Kinderpornografie-Archiv in Listen unterteilt habe - wohl um nicht den Überblick zu verlieren. Er habe die Taten weitgehend eingeräumt.

Der 44-Jährige habe «einem der Täter aus Münster beim Missbrauch zugesehen und Anweisungen gegeben», berichtete NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) in Düsseldorf. «Das geschah über einen Video-Chat online.» Er habe zudem über die Neigungen der anderen Pädophilen Buch geführt. Warum er nicht schon bei den Ermittlungen im Komplex Münster identifiziert worden sei, wisse er derzeit aber nicht.

«Ich kann allen Pädophilen nur sagen: Wir kriegen Euch! Vielleicht nicht heute, aber eines Tages stehen wir vor Eurer Tür. Lügde, Bergisch Gladbach, Münster und jetzt Wermelskirchen», sagte Reul. Er fügte hinzu: «Man kann bei diesen Taten manchmal den Glauben an die Menschheit verlieren.»

Im «heute journal update» in der Nacht zum Dienstag sagte Reul: «Wir brauchen noch mehr technologische Hilfe und wir brauchen auch rechtliche Rahmenbedingungen. Ich verzweifle manchmal schon, wenn ich sehe, wie schwer wir uns tun in der Frage Datenschutz.» Es könne nicht sein, dass ein Ermittler sage, er habe die IP-Adresse, er habe den Typen, aber er wisse nicht, wie er heiße und wo er wohne. «Es muss in dem Recht der Datenspeicherung sich was ändern.»

Die Kölner Ermittler sagten, derzeit werde geprüft, ob der 44-Jährige in Sicherungsverwahrung genommen werden könne. Ein psychiatrisches Gutachten sei ebenfalls in Auftrag gegeben worden. Bei den übrigen Verdächtigen handele es sich um Väter, Nachbarn, Bekannte, Brüder oder Großväter der Opfer.

Der Schwerpunkt liege mit 26 Verfahren in NRW, gefolgt von Thüringen (6), Brandenburg (5), Schleswig-Holstein (5) und Niedersachsen (5). Mit Ausnahme von Bremen und dem Saarland sind alle anderen Bundesländer ebenfalls betroffen. Ein Verfahren sei nach Österreich abgegeben worden.

Die meisten Verdächtigen seien in einem Alter zwischen 26 und 45 Jahren. Auf die Schliche gekommen sei man dem Wermelskirchener im vergangenen November durch Ermittlungen gegen einen seiner Chat-Partner in Berlin. Bis zum Zugriff mit einem Haftbefehl des Kölner Amtsgerichts seien seine Telefone abgehört worden.


Bildnachweis: © Oliver Berg/dpa
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