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Die Politprominenz fehlte weitgehend. Die Kleider waren dunkler, die Bars und Tanzflächen weniger voll und die Reden wichtiger. So politisch wie 2022 war der Bundespresseball, die Jahresparty der Hauptstadtjournalisten, wohl kaum je zuvor. In den vergangenen Jahren sorgte die Corona-Pandemie für mehrere Verschiebungen. Nun gab Russlands Angriff auf die Ukraine dem Ball am Freitagabend im Berliner Hotel Adlon am Brandenburger Tor ein neues Gesicht und ließ ihn zum «Solidaritätsball» für die Ukraine werden.Für die Kulturstaatsministerin Claudia Roth traf die Veranstaltung damit genau den richtigen Ton. «Wenn dieser grauenhafte Krieg, dieser aggressive Angriffskrieg Putins in der Ukraine auch ein Propagandakrieg ist, auch ein Krieg gegen die Kultur, die Kultur der Demokratie, dann war es sehr wichtig, ein Signal zu setzen, ein Signal für die Pressefreiheit, ein Signal für die Kultur der Demokratie, und das ist gestern Abend passiert», sagte die Grünen-Politikerin am Samstag im Deutschlandfunk, offenkundig noch erfüllt von den Ereignissen des Vorabends.Absagen wegen des Kriegs in der UkraineAndere prominente Politiker hatten allerdings wegen des Kriegs abgesagt, allen voran Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Mitglieder des Bundeskabinetts. Die Aufmerksamkeit vieler der rund 1800 Journalisten, Verleger, Moderatoren, Manager, Lobbyisten und Politiker beim 69. Bundespresseball galt dem ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk, der schon in den vergangenen Wochen Teile der Politik mit seinen Forderungen nach schweren Waffen und ungewöhnlich deutlichen Worten genervt hatte.Die Bundespressekonferenz, der Verein der Hauptstadtjournalisten, hatte Melnyk um eine kurze Rede gebeten. Und dieser nutzte sie für klare Ansagen. Melnyk dankte der Presse für ihre notwendigen Berichte über den Krieg und würdigte den Ball mit ukrainischen Künstlern und einer Spendensammlung für ukrainische Journalisten als Zeichen der Solidarität. Die Absage Steinmeiers und der Minister kritisierte er deutlich: «Umso mehr finde ich es schade, dass viele Politiker hauptsächlich durch ihre Abwesenheit glänzen. Doch wenn sie hoffen, dass sie dadurch kritischen Fragen entgehen, dann irren sie sich.»Applaus für Andrij MelnykNur die Medien hätten durch ihr Nachfragen zu der «zögerlichen» Haltung der Bundesregierung beim Thema Waffenlieferungen Druck aufgebaut, ohne den die «Zeitenwende» nicht möglich gewesen wäre, sagte Melnyk. Die Ukraine brauche die Waffen dringend, um ihre Existenz nicht zu verlieren. Und dann richtete er sich direkt an die Journalisten im großen Dinnersaal, die ihm ausdauernd applaudierten: «Wenn ein Krieg lange dauert, droht die Aufmerksamkeit der Medien nachzulassen. Ich bitte Sie daher, verlieren Sie nicht das Interesse an dem, was der Ukraine angetan wird, sonst sterben die Menschen unbemerkt. Und wenn Menschen unbemerkt sterben, dann stirbt auch die Wahrheit.»Wegen der Corona-Pandemie hatten die Veranstalter die Zahl der Gäste in Smokings und Abendkleidern um 500 reduziert, entsprechend weniger Gedränge gab es auf dem roten Teppich, wo auch die Sängerin Natalia Klitschko, Ehefrau von Vitali Klitschko, dem früheren Profi-Boxer und aktuellen Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt Kiew, sich bedankte. «Es geht um Zusammenhalt, um Unterstützung, die Hilfe der deutschen Bevölkerung ist unglaublich.»Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) kam mit blau-gelber Fliege, auch viele andere Besucher trugen Anstecker oder Schleifen in Blau-Gelb, den Nationalfarben der Ukraine. «Wir feiern, um Journalisten zu helfen. Ich glaube, wir müssen auch nicht alles absagen», sagte Kubicki. Ähnlich sahen es der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz und seine Frau. Sie seien gekommen, «weil wir wissen, dass dieser Presseball für die Ukraine etwas tut». Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil versuchte sich in der Verteidigung seiner Parteifreunde und meinte, er verstehe die Minister, wenn sie sagten: «Uns ist nicht nach Feiern zumute.»Auftritte ukrainischer KünstlerClaudia Roth sagte am Samstagmorgen auf die Frage des Deutschlandfunks, ob ihre Kollegen eine Chance verpasst hätten: «Das müssen die alle für sich selber entscheiden. Es gibt sicher unterschiedliche Gründe, warum sie nicht anwesend waren. Aber als Zuständige im Kabinett war ich da und es sollte ja auch ein deutliches Zeichen sein», erklärte die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien.An den beiden Champagnerbars im ersten Stock des Adlons, an den Buffets und Bierständen war die Stimmung mit fortgeschrittener Uhrzeit aber keineswegs bedrückt. Ukrainische Künstler traten auf, die Tanzflächen wurden voller, eine Bigband und Quartette spielten, später legten DJs auf. In der Raucherbar, versteckt am Ende eines Ganges hinter einem Restaurant, war das Gedränge am größten und die Lautstärke am höchsten. Hostessen gingen mit großen Sammelboxen herum, in denen Geldscheine lagen. Es werde viel gespendet, sagte eine von ihnen. Die meisten Gäste überwiesen das Geld per Handy.Das Thema des Abends konnten auch die am Brandenburger Tor flanierenden Touristen an den Absperrgittern vor dem Adlon sehen. Blau-gelbe Strahler leuchteten auf das Hotel und in den Himmel.Bildnachweis: © Christoph Soeder/dpaCopyright 2022, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten