1. Januar 2024 / Weltnews

Angriffe auf Polizei, Hunderte Festnahmen in Berlin

Die Anspannung vor der Silvesternacht war nach den Böller-Angriffen vom Vorjahr groß. Die Polizei war mit einem Großaufgebot im Einsatz. Im Laufe der Nacht häuften sich wieder die Angriffe.

Einsatzkräfte der Polizei stehen unweit vom Kottbuser Damm.

Friedliches Feiern in kleinem Kreis, heftiges Feuerwerk auf Plätzen und Straßen und auch aggressives Böllerwerfen und Abfeuern auf andere Menschen - die Silvesternacht in Berlin offenbarte wieder alle Aspekte der Großstadt. Nach jüngsten Zahlen der Polizei sind rund 390 Menschen vorläufig festgenommen worden - viele wegen Verstößen gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz.

Es seien 54 Einsatzkräfte verletzt worden, 30 davon durch Pyrotechnik, sagte Polizeisprecherin Anja Dierschke. Acht der verletzten Polizisten hätten ihren Dienst nicht fortsetzen können. Insgesamt seien zum Jahreswechsel 720 Ermittlungsverfahren zu Vorfällen im gesamten Stadtgebiet in der Zeit von Silvester 18.00 Uhr bis 6.00 Uhr am Neujahrstag eingeleitet worden.

Im ganzen Stadtgebiet sei es immer mal wieder zu Beschuss mit Böllern und Raketen auf Polizei und Feuerwehr und auch von Menschen untereinander gekommen, sagte eine Sprecherin. Besondere örtliche Schwerpunkte habe es dabei aber nicht gegeben. «Diverse Angriffe mit Pyro, Schreckschuss & Flaschen auf Einsatz- und Rettungskräfte» würden gemeldet, hieß es. Viele sehr laute Explosionen deuteten auch auf illegale Böller hin. Immer wieder waren auch Schüsse aus Schreckschusspistolen zu hören.

Polizei: 99,9 Prozent der Menschen feiern friedlich

Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) und Polizeipräsidentin Barbara Slowik betonten am frühen Abend, der Großteil der Berliner feiere friedlich, das gelte für «99,9 Prozent der Menschen» in der Stadt. Die Polizei hatte vor Silvester immer wieder erklärt, in so einer großen Stadt lasse sich leider nicht jeder Krawall mit Feuerwerk verhindern.

Nahe dem Alexanderplatz beschossen sich schon Stunden vor Mitternacht größere Gruppen von insgesamt rund 500 Menschen mit Silvesterraketen. Polizisten hätten die Gruppe auseinander getrieben und kontrolliert, hieß es im Internetportal X (vormals Twitter). Aus einer Gruppe von 200 Menschen in der Nähe sei die Polizei mit Raketen oder anderer Pyrotechnik beschossen worden.

Angriffe auf Polizei

In Neukölln wurden Verdächtige gefasst, die Molotow-Cocktails gebastelt hatten. Außerdem seien dort mehrfach Autos beschossen worden, auch Polizei- und Rettungsfahrzeuge, meldete die Polizei. «In der Hermannstraße schießen Personen mit Raketen auf unsere Einsatzkräfte.» Im Stadtteil Gropiusstadt sei ein geparkter Polizei-Einsatzwagen durch die Explosion einer Kugelbombe stark beschädigt worden.

Insgesamt waren fast 5000 Polizisten in der Nacht im Dienst, um ähnliche Krawalle und Ausschreitungen wie im vergangenen Jahr zu verhindern: 3500 Polizisten aus mehreren Bundesländern waren auf den Straßen im Einsatz. Besonders in Silvester-Brennpunkten früherer Jahre in Neukölln, Mitte und Schöneberg hatte sich die Polizei sichtbar auf den Straßen postiert. Dazu kamen 1000 Polizisten in Streifenwagen und Wachen sowie 500 Bundespolizisten in und an den Bahnhöfen. Das war das größte Polizeiaufgebot in einer Silvesternacht Berlins.

In der Silvesternacht 2022/2023 hatte es bundesweit Ausschreitungen und Angriffe auf Polizisten sowie Rettungskräfte gegeben, besonders betroffen war Berlin. In diesem Jahr war die Polizei zusätzlich besorgt wegen des Gaza-Kriegs nach dem Terroranschlag der islamistischen Hamas auf Israel und der aufgeheizten Stimmung in Teilen der arabischstämmigen Bevölkerung in manchen Stadtteilen.

Eine pro-palästinensische Demonstration am späten Abend wurde daher verboten. An einer Demonstration am Nachmittag nahmen etwa 2000 Menschen teil. Am Abend wurde die angekündigte Böller-Verbotszone in der Sonnenallee aufgebaut. Trotz des Verbots einer Demonstration palästinensischer Gruppen zum Thema Krieg in Gaza versammelten sich vor Mitternacht Menschen, die Polizei griff ein und verhinderte eine größere Versammlung.

Wegner: Nacht der Repression, wenn nötig

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hatte am frühen Abend ein hartes Vorgehen der Polizei bei Randale und Ausschreitungen angekündigt. Man habe viel im Bereich der Prävention in den letzten Monaten getan, sagte Wegner bei einem Besuch einer Polizeiwache in Neukölln. «Und heute ist die Nacht, wenn's denn notwendig ist, die Nacht der Repression, wo der Rechtsstaat sich versuchen wird durchzusetzen. Und ich bin mir auch sicher, dass er sich durchsetzen wird.»

Am Brandenburger Tor feierten Tausende Menschen bei der traditionellen Silvester-Party, begleitet von hohen Sicherheitsvorkehrungen. Nach Angaben der Veranstalter wurden bis zum frühen Abend 45.000 Tickets verkauft, die Party war für bis zu 65.000 Menschen ausgelegt. Die Bühnenshow wurde im ZDF live übertragen. Erstmals seit der Corona-Pandemie gab es auch wieder ein Höhenfeuerwerk.

Elf Molotow-Cocktails, neun Festnahmen

Wegen der selbstgebauten Molotow-Cocktails wurden in Neukölln neun Verdächtige festgenommen. «Sie füllten Benzin in Glasflaschen und steckten gerade Stofffetzen als Lunte hinein, als sie von unseren Einsatzkräften in Neukölln entdeckt wurden», schrieb die Polizei. Grillanzünder hätten sie auch dabei gehabt. Elf Molotow-Cocktails wurden sichergestellt. Ob es sich um politisch motivierte Extremisten handelte, konnte die Polizei zunächst nicht sagen.

In der Sonnenallee - früher einer der Silvester-Hotspots gefährlicher illegaler Böller - blieb es wegen der von der Polizei verhängten Böller-Verbotszone zunächst ruhig. Gehwege waren über mehrere Hundert Meter mit Gittern abgesperrt, die Durchfahrt für den Autoverkehr wurde gestoppt. Kreuzungen leuchtete die Polizei mit Scheinwerfertürmen aus. An Eingängen mussten alle Menschen, die in die Verbotszone wollten, ihre Taschen vorzeigen. Lange Schlangen bildeten sich, einige Menschen protestierten.

Mehr als 20 Menschen mit Böllerverletzungen im Unfallkrankenhaus

Wegen schlimmer Verletzungen durch Böller wurden 28 Menschen im Unfallkrankenhaus Berlin (UKB) behandelt. Das UKB sprach von zum Teil «dramatischen Amputationsverletzungen». Festgestellt würden Sprengverletzungen an den Händen und im Gesicht, schwere Augenverletzungen und Brandwunden, teilte die Klinik auf der Onlineplattform X (vormals Twitter) mit.

Das Krankenhaus hatte in der Silvesternacht seine OP-Kapazitäten deutlich verstärkt. «Unser Team der Handchirurgen macht sich schon warm für den OP-Marathon in dieser Nacht in mehreren OP-Sälen», teilte die Klinik Silvester mit. Vor Silvester hatte das Krankenhaus geschrieben, die Handchirurgen hätten schwere Feuerwerksverletzungen ausgewertet: 97 Prozent der Bölleropfer seien Männer, viele Verletzungen seien dauerhaft. Der Tipp laute: «Finger weg von illegalen Böllern, sonst Finger weg.»

Mann verliert Hand durch explodierende Rakete

Schon im Lauf des Tages verletzten sich Menschen mit Feuerwerk und mussten behandelt werden, wie die Polizei mitteilte. Ein 40-jähriger Mann verlor durch eine illegale Signalrakete im Ortsteil Kaulsdorf eine Hand. Unmittelbar nach der Zündung sei die Rakete in seiner Hand explodiert.

Die Feuerwehr meldete wie in jeder Silvesternacht zahlreiche Brände, die gelöscht wurden. So brannte es in einem 15. Stock und dann auch auf den Balkonen im 16. und 17. Stock in einem Hochhaus in Prenzlauer Berg. Bei einem anderen Wohnungsbrand im selben Stadtteil wurde ein bewusstloser Mensch gerettet, eine Katze starb. Die Silvesternacht ist für die Feuerwehr die einsatzreichste Nacht des Jahres mit Hunderten Rettungs- und Löscheinsätzen. Mehr als 1500 Sanitäter und Feuerwehrleute waren demnach mit 421 Fahrzeugen im Dienst.

Berliner Feuerwehr: Weniger Übergriffe auf Einsatzkräfte

Die Silvesternacht ist aus Sicht der Berliner Feuerwehr glimpflicher verlaufen als der Jahreswechsel vor einem Jahr. 30 Übergriffe auf Einsatzkräfte und Fahrzeuge der Feuerwehr seien nach ersten Erkenntnissen registriert worden, teilte die Feuerwehr mit. Nach derzeitigem Stand sei dabei aber niemand verletzt worden.

Beim Jahreswechsel 2022/2023 hatte es laut Feuerwehr 69 Übergriffe gegeben, dabei waren 15 Helfer verletzt worden. 2021/2022 waren es zu Coronazeiten 10 Übergriffe gewesen. Auch die Zahl der Einsätze insgesamt war nach den Angaben geringer als im Vorjahr.


Bildnachweis: © Paul Zinken/dpa
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