14. Februar 2023 / Weltnews

WHO: Schlimmste Naturkatastrophe seit einem Jahrhundert

Die Bergungsarbeiten in der Türkei und Syrien gehen weiter, auch wenn die Hoffnungen schwinden. Die Überlebenden benötigen dringend Hilfe. Die WHO drängt auf weitere Unterstützung.

Autos, Häuser - das türkische Kirikhan liegt in Trümmern.

Das Europa-Büro der Weltgesundheitsorganisation WHO hat zu umfassender Hilfe für die vielen Erdbebenopfer im türkisch-syrischen Grenzgebiet aufgerufen. WHO-Regionaldirektor Hans Kluge bezeichnete das Beben als schlimmste Naturkatastrophe in der Region sei einem Jahrhundert. Der Bedarf an Hilfe sei riesig und wachse mit jeder Stunde, sagte er auf einer Online-Pressekonferenz.

Die Vereinten Nationen baten zugleich ihre Mitgliedstaaten um knapp 400 Millionen Dollar (372 Millionen Euro) Unterstützung angesichts der Not in Syrien. Zugleich wurde am Dienstag die Schwelle von 40.000 Toten überschritten.

Alleine in der Türkei liege die Zahl bei 35.418, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge. Aus Syrien wurden zuletzt 5900 Tote gemeldet. Allein in der Türkei werden noch mehr als 13.000 Verletzte in Krankenhäusern behandelt, wie Erdogan sagte. Rund 1,6 Millionen Menschen lebten in Notunterkünften. Etwa 600.000 Menschen seien evakuiert worden oder hätten selbstständig die Region verlassen. Es sei nun an der Zeit, «die Wunden zu heilen, den Schmerz zu lindern und das, was zerstört wurde, wieder aufzubauen», sagte Erdogan.

Satellitenbilder des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) zeigen nun das Ausmaß der Beben: «Die Verwerfungen betragen nach einer Auswertung des DLR an manchen Stellen bis zu sechs Meter.» Es seien Daten des europäischen Radarsatelliten Sentinel-1 analysiert und visualisiert worden. «Die Risse sind an der Oberfläche auf etwa 250 Kilometern Länge zu erkennen», hieß es in einer Mitteilung.

Rund 26 Millionen Menschen in der Türkei und Syrien bräuchten humanitäre Unterstützung. «Jetzt ist die Zeit für die internationale Gemeinschaft, dieselbe Großzügigkeit zu zeigen, die die Türkei im Laufe der Jahre anderen Nationen weltweit gezeigt hat», sagte er am Dienstag. Das Land beherberge die größte Flüchtlingsbevölkerung der Erde.

Grenzübergänge in Syrien geöffnet

Das von der UN erbetene Geld solle «dazu beitragen, die dringend benötigte lebensrettende Hilfe für fast fünf Millionen Syrer zu sichern - einschließlich Unterkunft, Gesundheitsversorgung, Nahrung und Schutz», sagte UN-Generalsekretär António Guterres.

Vor allem im Bürgerkriegsland Syrien kommt internationale Hilfe nur langsam an, was nicht zuletzt an der politischen Situation liegt. Nach Angaben des UN-Nothilfebüros Ocha fuhr ein UN-Konvoi bestehend aus elf Lastwagen über den Grenzübergang Bab al-Salam aus der Türkei nach Syrien. Der Generaldirektor der Internationalen Organisation für Migration, António Vitorino, erklärte auf Twitter gleichzeitig, dass Güter der Organisation über Bab al-Salam geliefert worden seien.

Syriens Präsident Baschar al-Assad hatte zwei weitere Grenzübergänge in die Türkei freigegeben zur Verbesserung der humanitären Hilfe in den Katastrophengebieten. Bab al-Salam und Al-Ra'ee sollten für drei Monate geöffnet bleiben. Bislang war nur die Öffnung des Übergangs Bab al-Hawa von Damaskus autorisiert worden. Die Grenzübergänge liegen in Gebieten unter Kontrolle von Rebellen.

Über den schon zuvor noch freigegebenen Grenzübergang kam am Dienstag auch eine erste UN-Delegation, um sich ein Bild der Lage vor Ort zu machen. Ihre Hauptaufgabe sei, einen Überblick zu bekommen und einen Mechanismus für die weitere Arbeit der Vereinten Nationen im Nordwesten Syriens zu bekommen, hieß es aus UN-Quellen.

Immer noch Überlebende gefunden

Die Suche nach Überlebenden ging trotz schwindender Hoffnung auch am achten Tag nach dem Beben weiter. In der Südosttürkei wurden Medienberichten zufolge noch vier Menschen lebend unter den Trümmern geborgen. In der Provinz Kahramanmaras hätten Helfer am Dienstagmorgen zwei 17 und 21 Jahre alte Brüder gerettet, berichteten die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu und der Sender CNN Türk. Sie lagen demnach 198 Stunden unter den Trümmern. In der Provinz Adiyaman wurde demnach ein 18-Jähriger, der ebenfalls 198 Stunden verschüttet war, gerettet. In der Provinz Hatay wurde Anadolu zufolge eine 26 Jahre alte Frau sogar nach 201 Stunden unter den Trümmern lebend gerettet, eine 35-Jährige nach 205 Stunden. Unabhängig überprüfen ließen sich diese Angaben zunächst nicht.

Schätzungsweise eine Million Menschen hätten in der Türkei ihr Zuhause verloren, etwa 80.000 befänden sich nach Behördenangaben in Krankenhäusern, sagte der WHO-Regionaldirektor. Dies stelle eine große Belastung für das Gesundheitssystem dar - das selbst durch die Katastrophe schweren Schaden genommen habe.

Am frühen Montagmorgen vor einer Woche hatte ein erstes Beben der Stärke 7,7 um 2.17 Uhr (MEZ) die Südosttürkei erschüttert, Stunden später folgte ein zweites schweres Beben der Stärke 7,6.

Allein in der Türkei sind nach den Beben die Familienangehörigen von rund 1000 Kindern noch nicht ermittelt worden. Familienministerin Derya Yanik sagte, 792 der Kinder würden im Krankenhaus behandelt, 201 seien in der Obhut des Ministeriums. Erst 369 hätten bislang ihren Familien zugeordnet und übergeben werden können.

Hilfslieferungen dringend erforderlich

Kluge forderte alle Beteiligten von der Regierung und der Zivilgesellschaft zur Zusammenarbeit auf, um die grenzüberschreitende Lieferung humanitärer Hilfe zwischen der Türkei und Syrien sowie innerhalb Syriens sicherzustellen. Die WHO zählt insgesamt mehr als 50 Länder zu ihrer Region Europa. Darunter sind neben der EU auch zahlreiche östlich davon gelegene Staaten wie die Türkei sowie mehrere zentralasiatische Länder. Auch mehrere Nichtregierungsorganisationen riefen zu mehr Hilfe auf.

Nach Angaben des Bundesverteidigungsministeriums in Berlin wurden bislang 292 Tonnen Hilfsgüter in die Türkei geflogen. 17 Flüge seien von Deutschland aus aufgebrochen, weitere seien in Planung. «Die Bundeswehr wird die humanitäre Hilfe für das Erdbebengebiet solange unterstützen, wie Transportbedarf staatlicher Stellen besteht.»


Bildnachweis: © Boris Roessler/dpa
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